Sonntag, 14. August 2011

Attackiert bei Jugendlichen

Als Chris und ich unseren Freunden "Aufwiedersehen" sagten, hatten wir nicht im geringsten die Ahnung, dass es schon zwei Tage spaeter
zu einem Wiedersehen kommen sollte.

Um nicht auf der verkehrsreichen Hauptsrasse von Almaty nach Bishkek zu reisen, waehlten wir eine Route, die kleinere Doerfer, fern der Hauptstrasse, verbindet.
Nach ungefaehr 130 km erwarteten wir einen Weg, der
uns ueber einen Pass, an die Kirgisische Grenze bringen sollte.
Im letzten Dorf vor den Bergen, fuellten wir noch einmal unsere Wasserflaschen,
an einer Wasserpumpe, auf.
Noch bevor alle Flaschen gefuellt werden konnten, stoppte ein Personenwagen auf unserer Hoehe.
Der Fahrer fragte freundlich, wohin wir mit unseren Fahrraedern moechten.
"Ueber die Berge nach Kirgistan", lautete unsere Antwort.
"Das geht leider nicht, es gibt nur einen Trampelpfad, gut genug um zu Fuss oder auf einem Esel die Bergkette zu ueberquren", erwiderte man uns.

Kurzerhand entschlossen wir, diesen Leuten zu glauben und machten uns auf den direkten Weg zur Hauptstrasse.
Zirka 20 km spaeter, noch vor dem Abbiegen in die anvisierte Strasse nach Bishkek, trafen wir auf ein Doerfchen, angesiedelt in der Naehe eines kleinen Flusses.
Hinter einem stillgelegten Fabrikgebaeude, weniger als einen Kilometer abseits der Strasse, erspaehten wir einen geeigneten Platz am Fluss, um fuer eine Nacht zu campieren.
Wir sagten noch: "Alleine wuerde ich hier nicht uebernachte, so nahe beim Dorf."
Doch in Gegenwart eines Reisepartners, fuehlten wir uns sicher genug und schlugen unsere Zelte auf.

Weniger als eine Stunde spaeter, erspaehten uns zwei Jungs.
Einer der Knaben ritt auf seinem Pferd auf uns zu und sein Freund folgte ihm auf einem Esel.
Nach einer kurzen Weile boten sie uns an, auf ihren Tieren zu reiten. Ich stieg auf das Angbot ein und offerierte ihnen eine Runde auf meinem Fahrrad.
Aus dem freudigen Treffen entwickelte sich rasch eine unangenheme Stimmung.
Einer der Buben begann auf meinen Helm, das Fahrrad, Chris Tagebuch und sein Kopftuch zu zeigen, fragend ob er eines der Objekte behalten kann.
Als wir verneinten, verlangte er Geld fuer's Campieren.
Eine Erwachsene Person, welche zu diesem Zeitpunkt Kuehe in der Naehe zusammen trieb, gab uns zu verstehen, dass wir hier willkommen sind. Er fragte nicht nach Geld, laechelte nur freundlich und verschwand mit seinen Kuehen.
Der Junge liess nicht locker und schaffte es, die Kopfbedeckung von Chris Haupt zu entwenden und davon zu reiten.
Allem Anschein nach ging es ihm nicht um den Besitz des Kopftuches, vielmehr betrachtete er diese Handlung als ein Spiel.
Der Bengel behielt den Gegenstand nicht, hingegen liess er ihn, auf dem wenige Meter entfernten Huegel, zu Boden fallen und verschwand. Sein Kumpel tat ihm gleich.
"Kommen sie wieder zurueck oder war's das?", fragten wir uns?
Mit einem mulmigen Gefuehl, zogen wir uns in unsere Zelte zurueck um zu schlafen.

Es verstrichen keine drei Stunden, als nachgeahmte Geistergeraeusche sowie helle Taschenlampenlichter, uns aus dem Schlaf rissen.
Wir ignorierten die Stoerenfriede, mit dem Gedanken sie dadurch zu langweilen. Anstatt gelangweilt von dannen zu ziehen, warf jemand einen Stein auf Chris Zelt.
Auf der anderen Seite des Flusses, erkannten wir sechs Knaben, im Alter von geschaetzten 14 bis 18 Jahren.
Wir gaben ihnen zu verstehen, dass wir sie nicht im geringsten witzig finden.
Sie entschuldigten sich und kamen zu uns rueber.
Um weitere Unangenehmlichkeiten zu vermeiden, begruessten wir sie, schuettelten freundlich Haende und baten sie am Morgen wieder zurueck zu kommen. Erst als wir sie mit Nachdruck zu ihrem Abgang aufforderten, verliessen sie uns widerwillig.
Auf dem Rueckweg fischten sie kleine Steine aus dem Flussbett.
Sie zogen sich auf einen kleinen Huegel zurueck und feuerten diese Steine auf unsere Zelte
.
Ihre hellen Taschenlampen richtete sie auf uns, waehrend dem sie sich nach weiteren und groesseren Steinen bueckten.
Als ein Stein ein Loch in Chris Zelt riss, rannten wir laut fluchend auf sie zu. Schnell rannten sie davon.
Aber nicht um nach Hause zu laufen, nein, sie deckten sich bloss mit neuen Wurfgeschossen ein.

Wieder regneten Steine auf uns nieder. Gluecklicherweise waren sie sehr schlechte Schuetzen und trafen nur selten unsere Zelte.
Sie hatten einen Heidenspass, wir hingegen fuerchteten um unsere Zelte und und unsere Gesundheit.
Fuer einen kurzen Moment dachten wir an Gegenangriff. Nachdem wir zwei Steine zurueck warfen und wieder auf sie zu sprangen, gaben wir diese Idee auf.
Erstens liessen sie sich nicht einschuechtern und zweitens; was wuerde passieren, wenn wir einen von den Teenagers verletzen?
Wer weiss was sie dann den Dorfbewohnern erzaehlen oder ob sie nicht noch mehr junge Leute mobilisieren wuerden?

Nachdem die Gruppe Jugendlicher nochmals verschwand, um Nachschub zu suchen, begannen wir in Windeseile unsere Habseligkeiten einzupacken.
Wir waren nicht schnell genug. Schon bald flogen neue Gegenstaende auf uns zu.
Nun handelte es sich nucht nur um Steine, sondern auch um Glasflaschen, Tierknochen und was sie sonst noch finden konnten.
Im relativen Schutz meines Zeltes, packte ich meinen Rucksack, als ich ploetzlich Chris aufschreien hoerte.
Ich schaute auf und bei genauerem Hinsehen, erkannte ich Blut aus seinem Hinterkopf rinnen.
"Sven, du musst gehen um Hilfe zu organisieren!" schrie mir Chris zu.

Die Jugendlichen waren wieder einmal auf der Suche nach weiteren Wurfgeschossen.
Weil ich von den Angreifern nicht gesehen werden wollte, versuchte ich so wenig Licht wie moeglich auf das unebene Terrain zu richten und rannte so schnell wie moeglich durch die Dunkelheit der Nacht.
Ich entschied mich fuer einen kleinen Umweg, um nicht in die Arme der Steinwerfer zu gelangen.
Da ich aber weit und breit keine Lichter erspaehen konnte, hatte ich keine Gewissheit wo sie sich aufhalten und konnte nur hoffen, dass ich nicht trotzdem in sie gerate.

Angelant beim ersten Haus im verdunkelten Dorf (keine Srassenbeleuchtung um 2.00 Uhr), schrie ich:
"Hallo, ist da jemand? Hallo, Hallo!!! Ich brauche Hilfe!!! Hallo, hallo!!!". Nicht mehr als ein laermendes Hundegebell erhielt ich als Antwort.
Weil auch kein Licht aus diesem Haus in die Nacht drang, eilte ich weiter in die Richtung von einigen beleuchteten Hausern.
Dort stiess ich auf Gehoer. Ein Mann brachte mich zur Tochter des Dorfarztes.
Sie studiert in England, war aber momentan zu Besuch bei den Eltern.
Gluecklicherweise konnte diese juge Frau dem Mann (welcher ihr Onkel ist) meine Situation auf Russisch erklaeren.
Die Tochter des Arztes sagte noch, dass ihr Vater momentan am schlafen sei, er muesste aber in fuenf Minuten parat sein.
Es schien also ob sie die Situation nicht richtig verstand. "Die Kidz sind noch immer dort und bewerfen Chris mit Gegenstaenden!!!", erklaerte ich wiederholt.
Nun stiegen wir alle drei in's Krankenauto (ein alter Russischer Minivan, auf dem vor langer Zeit ein Rotkreuz Kleber geklebt wurde) und machten uns auf den Weg.
Auf den Weg in die falsche Richtung!!!
"Hey Mann, du musst in die entgegengesetzte Richtung!!!!!", bemerkte ich ganz aufgeregt.
"Er weiss schon wo dein Freund ist", erklaerte die junge Frau. "Er muss aber zuerst noch die Krankenschwester abholen".
"Ou fuck!!!! koennen wir nicht zuerst zu unserem Camp Platz fahren um die Jugendlichen zu vertreiben, Chris ins Auro laden und danach die Krankenschwester aufsuchen?"; erwiderte ich.
Doch schon wenige Sekunden darauf stoppten wir und die Krankenschwester stieg zu uns in den Wagen.
Etwa 45 Minuten nachdem ich Chris verliess, erreichte das Krankenauto unseren Schlafplatz.
Mit einem Scheinwerfer, auf die fluechtenden Angreifer gerichtet, versuchte der Fahrer diese zu verfolgen. Chancenlos!

Unsere Fahrraeder und Gepaeck wurden in den Minivan geladen, Chris Wunde im Dorfspital desinfiziert und verbunden.
Danach fuhren sie uns in ein groesseres Spital, auf halbem Weg zurueck nach Almaty.
Nun war es 4 Uhr in der Nacht und das Loch im Kopf wurde genaeht.
Wir wollten unbedingt nach Almaty zurueck. Chris um seine Verletzung einem guten Arzt zu zeigen, ich wollte einfach nur schlafen.
Doch das bestellte Taxi konnte unmoeglich beide Fahrraeder, inklusive Gepaeck, und uns mitnehmen.
Der Taxifahrer chauffierte mich kostenlos zum Stadtzentrum um ein groesseres Taxi zu finden. Doch um diese Zeit fanden wir keines.
Die Krankenschwester offerierte uns ein Bett in ihrem Zuhause. Sie sagte zu uns: "ihr koennt bis 7:00 Uhr schlafen und danach versuchen ein groesseres Taxi zu finden. Der Taxichauffeur ist mein Kollege und bringt euch zu mir."
Zu diesem Zeitpunkt, zeigte der kleine Zeiger der Uhr bereits auf die Fuenf.
Wir lehnten den Vorschlag dankend ab und legten uns unter einen Baum vor dem Spital.

Als ich auch um 7:00 Uhr kein passendes Taxi finden konnte, bepackten wir die Fahrraeder und radelten wenige Kilometer, bis wir die Hauptstrasse nach Almaty erreichten.
Daumen raus und nach nicht einmal fuenf Minuten bremste ein kleiner Bus.
In dieser Region der Welt ist jedes Auto ein potenzielles Taxi. Stoppt ein Auto, sagt man wohin man moechte und wieviel man bereit ist zu zahlen. Ist der Fahrer einverstanden, bring er einem zum erwaehnten Ziel.

Der Fahrer des Minibuses brachte uns bis nach Almaty. Leider nur bis zum offiziellen Busbahnhof, am Rande der groessten Stadt Kasachstans.
So mussten wir, waehrend mindestens 30 min, durch den dichten Morgenverkehr, bis zur Wohnung von Tasman (unserem ehemaligen Gastgeber) radeln.
Um 10:00 Uhr erreichten wir endlich das sichere Zuhause.
So kam das verfruehte Wiedersehen, mit der noch immer herumhuepfenden Kyoko, Gabriel und Tas, zustande.

Chris Schaedel ist in Ordnung. Der Arzt verordnete ihm 10 Tage ohne Fahrrad zu fahren.
Aus Zeitgruenden begab er sich aber schon nach drei Tagen auf die Weiterreise zum Pamir Highway.
Ich bevorzugte einen Tag laenger in Almaty zu entspannen und danach per Minivan nach Bishkek zu fahren.
Im Minivan nach Bishkek toent entspannter als es tatsaechlich war.

Im Bus nach Bishkek


Der erste Fahrer wollte mir den Preis fuer vier Sitze verrechnen.
Er sagte, das Fahrrad hat keinen Platz im kleinen Gepaecksraum (obschon ich beide Raeder abgeschraubt habe) und nimmt somit drei Sitze in Anspruch. Im naechsten Bus wollte man mich zuerst ebenfalls nicht haben. Zum Glueck redete ein dritter Fahrer auf den
zweiten Busfahrer ein. Nun war es doch moeglich das Velo im Gepacksraum zu verstauen. Es wurden mir zusaetzlich 2/3 eines Bustickets verrechnet.
Aber bei einem Ticketpreis von 1'200 Tenge (etwa CHF 6.50) ist das okay. Die zu fahrende Strecke betrug 236 km.

Der schlechet Zustand des Motors, liess den Minivan immer wieder anhalten. Nach einer der Zwangspausen wurden Passagiere in einen anderen Van umgeladen.
Nur eine Familie und ich mussten mit der Schrottkiste weiter fahren.
Am Grenzuebergang forderte mich der Fahrer auf, das Fahrrad zusammen zu schrauben und
durch den Zoll zu stossen. Doch von anderen Tourenfahrer weiss ich, dass sie zwar das ganze Gepaeck durch den Zoll tragen mussten, die Raeder jedoch im Auto lassen konnten. So liess ich es im Bus und marschierte nur mit meinem Rucksack durch den Zoll, nach Kirgistan.
Dort traf ich wieder auf die Familie welche im selben Bus sass, wartend auf unseren Minivan. Nach ungefaehr einer halben Sunde wurde ich unruhig.
Der Vater der Familie ging nach unserem Bus suchen. Er kam zurueck und sagte achselzuckend: "Ich kann den Bus nicht sehen".
"Ou waia..." dachte ich. "Was wenn der Minivan zurueck nach Almaty gefahren ist und darum mich aufforderte, das Fahrrad auszuladen?"
Nach weiterem Warten, erkannten wir ploetzlich einen Minivan, welcher von einem ebeso kleinen Bus durch den Zoll geschleppt wurde.
Nun mussten meine Fahrradteile in einen fahrtuechtigen Van geladen werden und der Weiterfahrt nach Bishkek stand nichts mehr im Wege.

In der Hauptstadt Kirgistans bin ich nun fuer drei Tage. Werde ab kommendem Montag zum Issyk-Kul See fahren und ihn umrunden.

Zum Schluss an diesen Blogeintrag moechte ich euch wissen lassen, dass ich trotz dem Zwischenfall mit den Jugendlichen mit guter Erinnerung an Kasachstan denken werde.

Nur wenige Stunden vor der Attacke, tankten wir Wasser an einem Brunnen. Dort trafen wir auf eine Mutter von sechs Kindern.
Wir fragten nach einem Restaurant oder kleinen Shop um Essen zu kaufen. Sie zeigte zuerst auf ein kleines Geschaeft, lud uns aber kurz darauf zu sich nach Hause ein.
Dort servierte man uns frisches Fladenbrot, je eine grosse Schuessel Kefir und danach eine Reissuppe. Das restliche Brot und Kumys (schmeckt säuerlich bisweil käsigem Nachgeschmack) packte sie in eine alte Zeitung und gab es uns auf den Weg mit.Auch der Fahrer des Krankenautos, die Krankenschwester und die Tochter des Dorfarztes waren sehr hilfsbereit und entschuldigten sich mehrmals fuer das Verhalten der Jugendlichen.
Weder diese Leuten, noch die Person welche Chris die Wunde zunaehte, verlangten Geld fuer ihre Arbeit.
Ebenso hatten wir einen Kontakt zu einer Kasachin in Almaty, welche uns immer wieder zu Hilfe kam und uns zum Abschied auch noch beschenkte.